TENNIS Eine Reform
stellt das Berufsmodell Tennisprofi infrage – Unverständnis bei Spielern des
Heilbronner Neckar-Cups
Von unserem Redakteur
Lars Müller-Appenzeller
Das Schöne am Tennis:
Es ist ein komplexer Sport mit einfachen Regeln. Und ein Sport, in dem es
einfach viel Geld zu verdienen gibt: 2013 wurden laut Weltverband ITF bei
Männer-Turnieren weltweit insgesamt 144 Millionen Euro Preisgeld ausgeschüttet.
Mehr als die Hälfte davon wurde von lediglich einem Prozent der Profis
weggeschnappt. Auch deshalb wurde zum 1. Januar die Turnierlandschaft
verändert, auch das noch bis Sonntag in Heilbronn laufende Challenger, der
Neckar-Cup, wurde zwangsreformiert. Doch was gut gemeint war, ist nicht gut
gemacht, lautet die einhellige Meinung der Profis. Denn es gibt derzeit zwei
Weltranglisten. Und ein Durcheinander. Die Tennisszene ist in Aufruhr.
Startgarantie Peter
Heller ist gelassen. Und müsste doch eigentlich wahnsinnig werden. Der
26-Jährige aus Cham sitzt in der Players Lounge und sagt: „Es ist erst einmal
gut, dass ich jedes Challenger-Turnier spielen kann, das ich will.“ Der Bayer
ist derzeit die Nummer zwei der ITF-Weltrangliste. Neuerdings werden bei
Challengern wie in Heilbronn fünf Hauptfeld-Startplätze für die Besten der
ITF-Tour reserviert. Das hilft. Zum einen sind schon einmal 440 Euro
eingenommen, ohne etwas getan zu haben. „Der größte Unterschied für mich ist,
dass ich jetzt nichts für die Übernachtung bezahlen muss“, sagt Peter Heller –
das Hotel wird vom Veranstalter bezahlt.
Doch Hellers
Ausnahmestatuts gilt nur für ein halbes Jahr. In dieser Zeit muss er bei
Challengern möglichst viele Punkte in der ATP-Weltrangliste holen und
gleichzeitig eigentlich ITF-Turniere spielen, um dort nicht im Ranking
abzurutschen. „Das kann nicht funktionieren“, sagt Peter Heller. „Da ist ein
Fehler im System. Ich weiß nicht, was man sich dabei gedacht hat.“ Und das sagt
einer der Wenigen, die tatsächlich von der Reform profitieren. Das sagt alles.
Sportlich stand Peter
Heller Ende 2018 so gut da wie noch nie: Platz 273. „Das war nicht weit weg von
den Plätzen, mit denen man im Januar bei den Australian Open in die
Qualifikation gekommen ist“, sagt der 1,85-Meter-Mann, der geknickt wirkt.
Durch die Reform verlor er viele Punkte, rutschte auf Platz 601 der
ATP-Weltrangliste, aber immerhin auf Rang eins im neuinstallierten Ranking der
ITF.
Eigentlich sollen die
ITF-Turniere als Unterbau der Challenger- und der ATP-Tour dazu dienen,
Jungprofis den Sprung nach oben zu erleichtern. Die fünf ITF-Starter in
Heilbronn sind zwischen 23 und 26. „Vor allem den jungen Spielern nimmt man
durch die Reform die Chancen“, sagt Peter Heller. „Das ist kein
spielerfreundliches System“, sagt Daniel Masur. „Ich sehe zu viele Nachteile“,
erklärt Cedrik-Marcel Stebe. „Man muss viel spielen, um nicht abzurutschen.“
Doch wer viel spielt, hat wenig Zeit zum Training, geschweige denn zur
Regeneration. „Training ist nicht angesagt“, bestätigt Heller, aktuell die
Nummer 384 der ATP, „ich muss Punkte holen, Turniere spielen.“ Vor eineinhalb
Jahren sei er verletzt gewesen. Bei den derzeitigen Regeln hätte er keine
Chance gehabt, danach wieder Fuß zu fassen – in beiden Ranglisten. Ja, er sehe
das Berufsmodell Tennisprofi infrage gestellt.
„Für mich ist die
Reform schon gescheitert“, sagt Bundestrainer Michael Kohlmann. „Es ist nur
eine Frage der Zeit, wann alles wieder aufgehoben, die Rolle rückwärts gemacht
wird. Soweit ich weiß wird diskutiert, ob es noch eine kleinere
Challenger-Version geben wird. Das Entscheidende ist, dass es wieder nur eine
Rangliste gibt.“ Peter Heller sagt: „Ich habe gehört, dass es ab Juli eine
Umstellung geben soll.“ Was sagen die Funktionäre beim Neckar-Cup?
Bemühungen „Die
Spieler sind nicht glücklich“, weiß Ion Coman. Der 69 Jahre alte Schiedsrichter
aus Heilbronn wird seit Jahren von der ITF als Supervisor angefordert,
überwacht bei Turnieren die Regeln – die nicht er gemacht hat. In Heilbronn ist
Coman als Referee im Einsatz. Supervisor der Männerorganisation ATP ist beim
Neckar-Cup Stephane Cretois. Der Franzose versichert: „Alle Verantwortlichen
sind um die beste Lösung bemüht.“ Ja, das alte System sei auf Jahre bewährt
gewesen. Aber jetzt habe man etwas völlig Neues – und erst Mai.
Nicht nur Peter Heller
hofft auf Juli. Er zuckt mit den Schultern und sagt: „Man muss gut spielen.
Dann kommen die Punkte von alleine.“ Tennis kann so schön einfach sein.
„Training ist nicht
angesagt – ich muss Punkte holen, Turniere spielen.“
Peter Heller
Die Idee
Grundlage für den
ITF-Beschluss, die World-Tennis-Tour einzuführen, ist eine ITF-Studie aus dem
Jahr 2013, wie das „Tennis-Magazin“ berichtet. Von den damals 8874 männlichen
Tennisprofis gewannen 3896 nicht einen Cent Preisgeld, 336 verdienten soviel,
dass sie ihre Kosten decken konnten. Die ITF-(World-Tennis-)Tour soll dafür
sorgen, dass Profis auf der unteren Eben mehr Geld verdienen können – und
weniger empfänglich für Angebote der Wettmafia sind. Und sie soll
Nachwuchsspielern den Einstieg ins Profitennis erleichtern. lm